Dienstag, 6. September 2011

Schöne, tolerante Schweiz

Die tägliche Zugfahrt geht mir in der Schweiz noch mehr an die Nerven als noch vor Jahren im als geschwätzig bekannten Deutschland. Keifende Mädchen erörtern Belanglosigkeiten, Geschäftsleute blöken in Mobiltelefone, Wandersleute schlagen sich grölend auf die Schenkel. Ein einziges Mal bat ich um Ruhe und erhielt den Rat, das Land zu verlassen. Bleibt mir nur der Wechsel in die Ruhezone? Achim S., Zürich

Die Schweizer haben es gut: Sie haben das schönste Land Europas, nahezu Vollbeschäftigung, die Taschen voller Geld. Es gäbe also guten Grund, voller Selbstbewusstsein durchs Leben zu gehen. Viele Schweizer sind aber von einem leichten Griesgram befallen, der beson­ ders heftig hervortritt, wenn ihnen einer «aus dem grossen Kanton» (also von nördlich des Rheins) «frech kommt». Dann wird aus dem latenten Mangel an Selbstbewusstsein feuri­ger Hass. Das hat oft mit der Sprache zu tun: Die Schweizer fühlen sich mit dem etwas rus­tikalen Dialekt der Hochsprache unterlegen – und schlagen manchmal allzu heftig zurück.

Allerdings muss ich auch Sie tadeln: Ein Zug ist kein Sanatorium, sondern ein öffentliches Transportmittel, worin sich die unter­ schiedlichsten Menschen bewegen. Das geht nicht, ohne dass alle ein Höchstmass an Tole­ranz füreinander aufbringen. Kaufen Sie sich einen Walkman und einen Kopfhörer, der Aus­sengeräusche ausfiltert. Sie werden sich in der schönen Schweiz noch wohler fühlen.

Le Gourmand français

Im Zug von Z¨ürich nach Basel packte mein Vis-à-vis schon kurz nach der Abfahrt eine Baguette, einen Weichkäse und eine Flasche Wein aus und breitete sein Mahl auf einer weissen Stoffserviette aus. Mangels eines Kelchs genehmigte sich der Gourmand dazwischen einen Schluck Wein, direkt aus der Flasche. Muss ich mir so etwas gefallen lassen? Lukas B., Niederscherli

Ihre Beobachtung klingt doch recht spektakulär – zumindest, was das Mahl betrifft! Üblicherweise beobachtet man in solchen Situationen ja nur Menschen, die einen lauwarmen Hamburger aus einer lappigen Kartonschachtel in sich reindrücken und dabei versuchen, zu vermeiden, dass der Inhalt ihres mediokren Fleischbrötchens auf die Sitzbank tropft. Da muss man den frankophilen Geniesser ja fast loben, auch des kleinen Tischdeckchens wegen. Punktabzug gibt es aber fürs Trinken von Wein direkt aus der Flasche: Das sollte man auch in sehr verzweifelten Lebenslagen nicht tun.

Grundätzlich meine ich: Im Zug kann man schon speisen, aber nur wenn es a) nicht stinkt, b) nicht tropft und c) nicht viel Geräusche produziert. Wenn es ein bewusstes «Ereignis» ist, finde ich so ein Picknick eine wohltuende Abwechslung. Wenn Sie das anders sehen, habe ich dafür aber auch Verständnis. Glücklicherweise gibt es in der ersten Klasse oft noch einen anderen freien Sitzplatz, wo Sie ungestört sind.

Donnerstag, 2. Juni 2011

Krümelmonster

Ich fahre oft internationale Strecken mit dem Zug und wundere mich bei Ankunft im Zielbahnhof immer, wenn Reisegruppen ihre leeren Sandwichpapiere, Chips-tüten, zerknüllten Servietten und zerquetschten Getränkeflaschen einfach so liegen lassen, bevor sie aussteigen. Sollte man sie darauf hinweisen? Simone K., Interlaken

Im Prinzip sollte man ja reagieren, doch ich bin mir nicht sicher, ob sie sich auf Dauer viele neue Freunde machen, wenn sie von der langen Reise ermattete Mitreisende oberlehrerhaft auf ihre Versäumnisse hinweisen. Man wird ihnen wohl an den Kopf schleudern, dass Fernzüge am Zielbahnhof sowieso professionell gereinigt würden, was ja meistens auch stimmt. Man beobachtet ähnliche Zustände übrigens auch im Flugverkehr: Manche Sitze sehen nach der Landung aus, als hätte ein Krümelmonster sich mit einer Zeitung gefetzt.

Aber vielleicht mag es dem einen oder anderen ein Ansporn sein, Ihnen zuzusehen, wie Sie Ihren selbst produzierten Unrat zusammenräumen, komprimieren und mitnehmen, bevor Sie den Bahnwaggon verlassen. So sollte es nämlich jeder vernünftige Mensch tun, auf Fernreisen wie beim täglichen Pendeln. Es ist unanständig, roh, stillos und dumm, seinen Müll einfach liegen zu lassen. Es kostet nicht mehr als zehn Sekunden Aufmerksamkeit, doch es macht das eigene Leben und das seiner Mitmenschen angenehmer, wenn man ein bisschen Ordnung schafft.

Jeroen van Rooijen ( 41) ist Stil- Sachverständiger bei «via», der «NZZ» und «DRS 3».

Montag, 11. April 2011

Unter Hundefreunden

Mein Parson-Russell-Terrier «Sputnik» kann nicht verstehen, dass er seinen mit einem Tüchlein abgedeckten Sitzplatz des öfteren verlassen und sich auf den kalten Fussboden legen muss, weil ein anderer Fahrgast den Sitzplatz einfordert. Dabei muss «Sputnik» für sein Billett gleich viel bezahlen wie sein Halbtax-Abo-Herrchen. Ganz im Gegensatz zum zappelnden Kind nebenan. Urs G. (40), Maur/ZH

Lieber Hundefreund, ich kann die Ungleichbehandlung – um nicht zu sagen: Ungerechtigkeit! – auch nicht abschliessend erklären, denke aber, dass sie tief reichende kulturelle Hintergründe hat. Die Menschen neigen auch im 21. Jahrhundert leider immer noch dazu, Tiere als unserer Spezies untergeordnete Kreaturen zu verstehen und entsprechend zu behandeln. Das trifft nun leider auch Sputnik, obwohl Sie Ihren Hund – und wahrscheinlich etliche Mitreisende im Stillen auch – selbstredend höher schätzen als quengelnde Kinder.

Ein Trostpflaster gibt es allerdings: Ihr Hundeli zahlt nämlich immer nur den halben Preis 2. Klasse – auch wenn sein Herrchen in der 1. Klasse fährt. Das ist eine kleine, aber gleichwohl feine Geste der SBB, finde ich. Kommt hinzu, dass der Fussboden der 1. Klasse mit einem Teppich ausgelegt ist und zappelnde Kinder dort seltener anzutreffen sind. Gönnen Sie sich und Sputnik den Luxus. Und seien Sie froh, dass Sie in der Schweiz leben, denn in Deutschland müsste Sputnik einen Maulkorb tragen.